Die Geschichte der Stadt Lindau
Um 200
wird - vermutlich von Bregenz aus - auf dem Gebiet des heutigen Stadtteils
Aeschach eine große Villa errichtet, deren Relikte am "Römerpark" zu sehen sind.
Sie ist das bedeutendste Zeugnis der römischen Siedlungstätigkeit in unserem
Raum, die allerdings nur das Festland, nicht aber die Insel erfasst hat.
802
wird der Name des heutigen Stadtteils Aeschach erstmals als
Gewässername erwähnt.
882
verfasst ein St. Galler Mönch diejenige Urkunde, die den ältesten
sicheren schriftlichen Beleg des Namens Lindau enthält. Der Name bedeutet
"Insel, auf der Lindenbäume wachsen". Daran erinnern bis heute die seit dem 13.
Jahrhundert nachweisbaren Stadtwappen und -siegel, die entweder einen
vollständigen Lindenbaum zeigen oder ein Lindenblatt symbolisieren wie das 1999
eingeführte Logo.
Bei seiner Ersterwähnung bezog sich der Name Lindau auf ein adliges
Frauenkloster, das 882 bereits seit einigen Jahrzehnten auf der Insel bestand.
Der Legende nach ist es von Graf Adalbert von Rätien zum Dank für seine Rettung
aus Seenot gegründet worden. Aus dem Kloster entwickelt sich im Laufe der
nächsten Jahrhunderte ein freiweltliches Damenstift, dessen Mitglieder keinerlei
Gelübde abzulegen brauchen und daher den Konvent auch wieder verlassen können.
An das Stift erinnern heute noch seine letzten Kirchen- und Konventsgebäude (die
katholische Pfarrkirche "Münster Unserer Lieben Frau" bzw. das benachbarte
Amtsgericht und Landratsamt).
Außer den Nonnen leben im 9. Jahrhundert noch Fischer auf der Insel, deren
Siedlung abseits vom Kloster im Gebiet der Peterskirche, dem ältesten Gotteshaus
Lindaus, vermutet wird.
um 1079
verlegt das Kloster Lindau aus Sicherheitsgründen seinen Markt, den es
bisher auf dem Festland in Aeschach abgehalten hat, auf die Insel. Damit ist die
Grundlage für die Stadtwerdung gegeben: Zwischen Stift und Fischerdorf entsteht
eine aufblühende Kaufmannssiedlung, die von der verkehrsgünstigen Lage an einer
bedeutenden transalpinen Verbindung ebenso profitiert wie vom Bodensee als
Wasserstraße. Ihr regelmäßiger Grundriss ist bis heute zu erkennen, ebenso
Spuren ihrer Ummauerung (Heidenmauer, Mangturm, Diebsturm, Straßenbezeichnungen
"Inselgraben" und "Auf der Mauer"), die die Ausdehnung der mittelalterlichen
Stadt erkennen lassen. Wohl seit dem 14. Jahrhundert verbindet eine Brücke die
Insel mit dem Festland.
um 1180
wird die (seit 1528 evangelische) Pfarrkirche St. Stephan errichtet,
deren heutige Gestalt allerdings überwiegend von Erweiterungen und Umbauten des
beginnenden 16. und des ausgehenden 18. Jahrhunderts geprägt wird.
1213/1225
werden zwei Lindauer Textilkaufleute in Genua erwähnt. Damit werden
erstmals die Handelsbeziehungen der Stadt nach Italien greifbar, die bis ins 19.
Jahrhundert eine wichtige Säule der Lindauer Wirtschaft bilden. Wohl seit dem
späten Mittelalter unterhält die Stadt Lindau den "Mailänder Boten". Bis 1826
transportiert er regelmässig Nachrichten, Waren und Personen vom Bodensee durch
das Rheintal und über die Bündner Pässe nach Oberitalien. - Neben dem Fernhandel
mit dem Mittelmeerraum (Textilien, Gewürze, Südfrüchte) spielt auch der
Warenaustausch zwischen den Bodenseeanrainern eine wichtige Rolle (Salz, Holz,
Getreide, Fische).
1224
lassen sich Franziskaner ("Barfüßer") in Lindau nieder, deren
Klosterkirche heute das Stadttheater beherbergt (Fischergasse 37).
1237
hören wir erstmals vom Lindauer Heilig-Geist-Hospital. Als evangelische
Hospitalstiftung besteht die Einrichtung bis heute an ihrem mittelalterlichen
Standort zwischen Stadtmauer und Schmiedgasse fort. Sie dient heute als
Seniorenheim
1274/75
verleiht König Rudolf I. wie vielen anderen Städten auch Lindau
wichtige Freiheiten und Rechte. Die Kaufmannssiedlung löst sich mehr und mehr
aus der Herrschaft des Frauenklosters und entwickelt sich zu einer Freien
Reichsstadt mit Selbstverwaltung, die nur den Kaiser bzw. König als Oberhaupt
anerkennt.
1275/78
werden die Namen der heutigen Stadtteile Reutin und Hoyren erstmals
urkundlich erwähnt. Der Name Reutin, der "gerodetes Land" bedeutet, verweist
darauf, dass ein Großteil des Lindauer Umlandes während des Hochmittelalters
urbar gemacht wurde.
1358
wird das bis heute erhaltene, allerdings mehrfach veränderte Haus "Zum
Sünfzen" (Maximilianstr. 1) errichtet. Bauherr ist die gleichnamige
Gesellschaft, in der sich die führenden Lindauer Familien, das Patriziat,
zusammengeschlossen haben. Sie treiben vielfach Fernhandel und bestimmen, zum
Teil in Auseinandersetzung mit den Zünften der Handwerker, die Geschicke der
Reichsstadt über Jahrhunderte hinweg.
1422-1436
erbaut die Stadt an der Stelle eines Rebgartens das heutige Alte Rathaus.
1466
erhält das Damenstift bzw. seine Äbtissin die Würde einer weltlichen
Reichsfürstin. Innerhalb des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" sind
Stift und Stadt trotz ihrer unmittelbaren Nähe voneinander unabhängige
Territorien, die häufig im Streit miteinander liegen.
1496/97
tagt im Alten Rathaus ein Reichstag, auf dem verschiedene deutsche
Fürstentümer und Freie Städte vertreten sind. Führender Kopf ist der
Reichserzkanzler, der Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg. Sein Konterfei
ist an der südlichen Fassade des Alten Rathauses zu sehen, wo auch das farbige
Freskenband Bezug auf den Reichstag nimmt. Es zeigt den Einzug Herzog Philipps
von Burgund in Lindau. Philipp vertrat seinen Vater, Kaiser Maximilian I., der
selbst nicht am Reichstag teilnahm.
1528
wird die Stadt Lindau evangelisch. Das Kloster der Franziskaner, aus
deren Reihen der erste reformatorische Prediger stammt, wird geschlossen. Ein
Teil seiner Bücher gelangt in die 1538 gegründete Stadtbibliothek. Durch den
Glaubenswechsel wird Lindau auch in konfessioneller Hinsicht zu einer Insel,
denn die gesamte Umgebung bleibt mit Ausnahme der wenigen, zur Stadt Lindau
gehörenden Dörfer auf dem Festland katholisch, ebenso das Damenstift auf der
Insel.
1529
gehört die Stadt Lindau auf dem Reichstag zu Speyer zu der neugläubigen
Minderheit der Reichsstände, die gegen die reformationsfeindlichen Beschlüsse
der altgläubigen Mehrheit Protest einlegt. Davon leitet sich die Bezeichnung
"Protestanten" für die Evangelischen her.
1530
unterzeichnet Lindau auf dem Reichstag von Augsburg nicht wie die
meisten evangelischen Fürsten und Städte die "Confessio Augustana", die Philipp
Melanchton für die Anhänger Martin Luthers verfasst hat, sondern legt zusammen
mit Straßburg, Konstanz und Memmingen ein eigenes Glaubensbekenntnis, die "Confessio
Tetrapolitana" (= "Vierstädtebekenntnis"), vor. Hinter ihr steht ein
Verständnisvon Kirche und vom Abendmahl, das eher demjenigen des Schweizer
Reformators Zwingli entspricht als demjenigen Luthers. Erst in der Folgezeit
schließt sich Lindau dem Luthertum an.
1628
legt der Kaiser, der katholisch und auch Herr von Österreich ist,
Truppen in die Stadt, nachdem dort innere Unruhen ausgebrochen waren. Es kommt
zu Versuchen, Lindau zu rekatholisieren und stärker an Österreich zu binden.
1646/47
kommt es zur einzigen förmlichen Belagerung Lindaus während des
30jährigen Krieges (1618 - 1648). Schwedische Truppen versuchen die Stadt zu
erobern, scheitern jedoch am Widerstand der Bürger und der kaiserlichen
Besatzung unter dem Grafen Max Willibald Waldburg-Wolfegg, dessen Portrait an
der Südfassade des Alten Rathauses zu sehen ist. Lindau bleibt damit das
Schicksal vieler Nachbarstädte und -orte erspart, die oft mehrfach von
verschiedenen Kriegsparteien eingenommen und geplündert worden sind.
1648
beendet der Westfälische Frieden den 30jährigen Krieg. Von Neuem wird
der Stadt Lindau ihre politische und konfessionelle Eigenständigkeit garantiert,
die seit 1628 gefährdet gewesen war. Die kaiserliche Garnison muss abziehen.
Maßgeblichen Anteil an diesem Erfolg hat der Lindauer Diplomat Valentin Heider,
dessen Portraitmedaillon an der Südfassade des Alten Rathauses angebracht ist.
1655
werden regelmäßige Schulpredigten eingeführt, um die Lindauer
Bevölkerung vom Sinn und Zweck des städtischen Unterrichtswesens zu überzeugen.
Damit soll nicht zuletzt die Bereitschaft der Eltern erhöht werden, ihre Kinder
zu einem regelmäßigen Schulbesuch anzuhalten. Aus den Schulpredigten hat sich im
Laufe der Jahrhunderte das Lindauer Kinderfest entwickelt. Als "Lindauer
Nationalfest" nimmt es heute eine zentrale Stellung innerhalb des städtischen
Festkalenders ein.
1728
verwüstet ein verheerender Stadtbrand den Stiftsbezirk und angrenzende
Stadtviertel. Nur die evangelische Stephanskirche bleibt verschont. Beim
Wiederaufbau erhalten Stift, Stiftskirche und Markt (Haus zum Cavazzen =
Stadtmuseum, Haus zum Baumgarten = Marktplatz 4) das barocke Gepräge, das sie
bis heute kennzeichnet.
1802
werden infolge der Französischen Revolution von 1789 wenige Jahre vor
der Auflösung des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" alle Klöster und
Reichsstädte aufgehoben. Die Stadt Lindau und die Besitzungen des Damenstiftes
fallen an Fürst Karl August von Bretzenheim, dessen Schwester Friederike
(1771-1816) die vorletzte, 1788-1796 amtierende Äbtissin des Stifts gewesen war.
1804
Lindau fällt an Österreich. Karl August von Bretzenheim hat seinen
ungeliebten Besitz am Bodensee gegen Güter in Ungarn eingetauscht.
1805/06
muss Österreich nach einer Niederlage gegen Napoleon Lindau an den
französischen Bundesgenossen Bayern abtreten. Seitdem besitzt Bayern einen
Zugang zum "Schwäbischen Meer".
1808/18
verliert die Inselstadt Lindau ihr Landgebiet, das auf die drei neuen
selbständigen Gemeinden Aeschach, Hoyren und Reutin verteilt wird.
1838
wird in Lindau das erste eiserne Dampfschiff auf dem Bodensee, die
"Ludwig", in Dienst gestellt. Damit beginnt in Lindau und Umgebung das Zeitalter
der Industrialisierung, die hier allerdings nich so intensiv wie etwa im
benachbarten Friedrichshafen verlaufen ist.
1842/47
erbaut der in Italien zu Vermögen gekommene Lindauer Großkaufmann F. Gruber am
Schachener Seeufer die Lindenhofvilla. Dank zahlreicher Nachahmer, darunter die
bayerische Königsfamilie, entwickelt sich bis zum Ersten Weltkrieg an der
"Bayerischen Riviera" ein Villengürtel, der zum einem großen Teil noch heute zu
bewundern ist.
1853/54
erreicht die Eisenbahn über den damals errichteten Damm Lindau. Die
Stadt ist Endpunkt der in Hof beginnenden bayerischen
Nordost-Südwest-Diagonalstrecke. Das neue Verkehrsmittel fördert den
Getreidehandel als zeitweise wichtigsten städtischen Wirtschaftszweig und den
Tourismus, die ersten großen Hotelbauten entstehen in der Nähe des Bahnhofs, der
das Gesicht der sog. Hinteren oder Westlichen Insel tiefgreifend verändert: An
die Stelle von Gärten treten Gleisanlagen und Bahngebäude.
1856
wird der neue Seehafen als Schnittstelle der damals modernsten
Verkehrsmittel Dampfschiffahrt und Eisenbahn fertiggestellt. Als südwestliche
Eingangspforte Bayerns erhält er einen besonders repräsentativen Charakter.
Davon zeugen heute noch der Leuchtturm und das bayerische Wappentier, der Löwe,
die beide längst zu Wahrzeichen der Stadt geworden sind.
1900
nimmt das erste Lindauer Elektrizitätswerk seinen Betrieb auf.
1904
zieht das Militär in die neu errichtete, nach dem damaligen bayerischen
Prinzregenten benannte Luitpoldkaserne auf der Hinteren bzw. Westlichen Insel
ein.
1921
veröffentlicht der Schriftsteller Wolfram Geißler seinen wohl
bekanntesten Roman "Der liebe Augustin". Dieses "Lindauer Nationalepos" lässt
die letzten Jahrzehnte der Reichs- und die ersten Jahre der bayerischen Stadt
Lindau lebendig werden. Vorbild für die weibliche Hauptfigur ist die vorletzte
Äbtissin des Damenstiftes, die junge Friederike von Bretzenheim.
1922
werden die 1808/18 abgetrennten Festlandsgemeinden Aeschach, Hoyren und
Reutin wieder mit Lindau vereinigt.
1945
besetzen am 30. April französische Truppen kampflos die Stadt, die den
Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet überstanden hat. Zusammen mit dem
Landkreis Lindau dient sie in den folgenden Jahren als Landbrücke zwischen den
französischen Besatzungszonen in Südwestdeutschland und Westösterreich. Stadt
und Landkreis Lindau werden damit vom übrigen Bayern, das amerikanisch besetzt
ist, abgetrennt und bilden faktisch ein eigenes (Bundes-) Land. An seiner Spitze
steht ein Kreispräsident, der zeitweise mehr Kompetenzen besitzt als die
Ministerpräsidenten der Länder.
1950
rollt die erste Roulette-Kugel in der Lindauer Spielbank; die ersten
Lindauer Psychotherapiewochen werden abgehalten.
1951
findet die erste Lindauer Nobelpreisträgertagung statt.
1951
beginnt Felix Wankel (1902 - 1988), der seit 1936 in Lindau lebt, mit
der Entwicklung des nach ihm benannten Rotationskolben- (Drehkolben-) Motors.
Seine 1962 erbaute "Technische Entwicklungsstelle" (TES) im Stadtteil Zech
(Fraunhofer Str. 10) steht seit 1999 unter Denkmalschutz.
1955
regelt die "Lex Lindau" die Rückgliederung des "Landkreisstaats" Lindau
nach Bayern, die 1956 abgeschlossen ist.
1958
übernimmt die Stadt Lindau die Patenschaft über das gleichnamige
Minenjagdboot der Bundesmarine. Mit zahlreichen Besuchen wird die Patenschaft
bis zur Außerdienststellung der "Lindau" im Jahr 2000 intensiv gepflegt.
1963
erleben die Lindauer die bislang letzte "Seegfrörne".
1964
begründen Lindau und die französische Stadt Chelles bei Paris eine
Partnerschaft, die bis heute intensiv gepflegt wird.
1973
wird der erste Teil der Lindauer Fußgängerzone eingeweiht.
1975
geht die Luitpoldkaserne nach Abzug der Garnison in städtischen Besitz
über.
1976
vergrößert sich Lindau durch die Eingemeindung von Reitnau, das
erstmals 805 urkundlich erwähnt worden ist.
1981
können die Lindauer mit der Inselhalle ein modernes Tagungs- und
Veranstaltungszentrum in Besitz nehmen.
1987
stürzt in der katholischen Stiftskirche die Stuckdecke in das Schiff herunter.
Sie wird in den folgenden Jahren in mühevoller Kleinarbeit wiederhergestellt.
1994
nimmt das neue Stadtbussystem seinen Betrieb auf.
1998
ist das neue hochmoderne Klärwerk fertiggestellt.
1999
sucht an Pfingsten ein Jahrhunderthochwasser die Inselstadt heim, das
Erinnerungen an ähnliche Katastrophen in der Vergangenheit (z. Bsp. 1817)
wachruft.
2000
werden die Neubauten der Seebrücke und der Spielbank ihrer Bestimmung übergeben.
Die Psychotherapeuten und die Nobelpreisträger treffen sich zum 50. Mal in
Lindau (B), die Lindauer Marionettenoper wird ins Leben gerufen, und in Reutin
entsteht ein modernes Einkaufszentrum („Lindaupark").
2002
Nach zweijähriger Sanierung ist aus der ehemaligen Luitpoldkaserne auf der
Westlichen Insel das Wirtschafts- und Bildungszentrum Luitpoldpark entstanden.
2003
wird auf der Westlichen Insel in unmittelbarer Nachbarschaft des Luitpold-Parks
der Neubau der Bodensee-Klinik für ästhetische Chirurgie (Prof. Dr. Dr. Werner
Mang) seiner Bestimmung übergeben.
2004
Die 1946 von der französischen Besatzungsmacht gegründete Industrie-
und Handelskammer Lindau-Bodensee und diejenige für Augsburg und Schwaben
schließen sich zur IHK Schwaben zusammen. Deren Lindauer Außenstelle trägt mit
ihrem Mittelmeerbüro u.a. für die Beziehungen der schwäbischen Wirtschaft in den
mediterranen Raum Sorge.
Erstmals lädt das Kuratorium für die Lindauer Nobelpreisträgertagungen die
Laureaten der Wirtschaftswissenschaften zu einem Treffen ein, das künftig alle
zwei Jahre stattfinden soll.